Am 22. Juni 2022, nachdem der Druck von Eisenbahnunternehmen, Fahrgästen, industriellen Verladern und Verbänden wegen der katastrophalen Situation im Schienennetz über Monate immer größer geworden und im Jahr zuvor im Netz der DB über 140 Millionen Verspätungsminuten gesammelt wurden, stellt die DB Details zu ihrem Vorhaben der General- bzw. Korridorsanierung vor und verspricht Großartiges. Bis 2030 sollen die wichtigsten deutschen Schienenkorridore auf dem neuesten Stand sein und nach einer Generalsanierung für viele Jahre praktisch “baufreiZeitraum, in dem es zu keinen Bautätigkeiten kommt” bleiben.
Die DB formuliert drei Kernelemente, die die Generalsanierung von anderen Methoden unterscheiden soll (vgl. Deutsche Bahn, Presseinformation, 22.06.2023):
- Bündelung von Maßnahmen
- Erhöhung der Leistungsfähigkeit
- Kundenfreundliches Bauen
Wirklich neu ist das Konzept allerdings nicht: im Abschlussbericht des „Runden Tisches Baustellenmanagement“ wurde es der DB bereits 2017 von der Branche ans Herz gelegt. Und das Vorgehen ist auch in Deutschland anders als von DB und Verkehrsminister immer wieder behauptet, nicht neu. Schon 1993/94 wurde zwischen Soest und Paderborn ein Teilstück der Mitte-Deutschland-Verbindung für ein Jahr komplett gesperrt, um sie grundlegend zu modernisieren. Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz wurde der Teilabschnitt Fulda-Würzburg “generalüberholt” und die Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover-Würzburg in etwas mehr als sechs Monaten Vollsperrung saniert. Zuvor wurden bereits die Abschnitte Hannover-Göttingen (11. Juni bis 14. Dezember 2019) und Göttingen-Kassel (24. April bis 16. Juli 2023) saniert. Ab April 2023 arbeitet die DB Netz an den letzten Abschnitten von Kassel bis Fulda (04. bis 16. Juli 2023), Fulda-Würzburg (11. Juni bis 10. Dezember 2022, mit Bauzeitüberschreitung und entsprechenden Problemen) (vgl. Abb. Generalsanierung 02). Mehr oder minder umfangreiche Vollsperrungen von Strecken müssen auch für Brückensanierungen oder nach witterungsbedingten schweren Schäden immer wieder vorgenommen werden. Die Vorteile bei geplanten Sanierungen, vor allem die geringere Baudauer im Vergleich zur eingleisigen Sperrung, liegen auf der Hand. Eine Teilsperrung verringert die Kapazität um mehr als 50 Prozent und dauert mehr als doppelt so lange. Das A und O für die Kund:innen des Schienenverkehrs sind allerdings Umleitungs- und Ersatzverkehrsmöglichkeiten im jeweiligen Einzelfall.

Das DB-Konzept besagt also zunächst nur, dass Vollsperrungen demnächst deutlich häufiger genutzt werden im Unterschied zur bisher favorisierten Variante. Zusammen mit dem Verkehrsminister machte die DB 2022 jedoch aus der Not eine Tugend und aus einem Baukonzept eine Art Zukunftsversprechen.
Die zwei zusätzlichen Elemente – die Bündelung von ansonsten hintereinander vorgenommenen Einzelsperrungen für verschiedene Teilmaßnahmen und die Idee, in der Vollsperrung zusätzliche, bisher unübliche Modernisierungsmaßnahmen zu realisieren, erwecken bei den Kund:innen auf der Schiene jedoch Hoffnungen auf die dringend benötigte Lageverbesserung. Dementsprechend haben DIE GÜTERBAHNEN den Ansatz begrüßt – unter der Prämisse der Gewährleistung ausreichender Umleiterkapazitäten. Im Gegensatz zum Personenverkehr kann der SGVSchienengüterverkehr nicht auf Schienenersatzverkehre ausweichen. Ersatzverkehr heißt im Falle des SGVSchienengüterverkehr, dass Verkehre an den Straßengüterverkehr abwandern. Ob diese nach der Sanierung 1:1 wieder zurückkommen, ist ungewiss und ohnehin bedeutet jeder zusätzliche Lkw einen höheren Treibhausgasausstoß. Sofern für den SGVSchienengüterverkehr keine ausreichenden Umleiterkonzepte vorliegen, müssen die Strecken beschleunigt ausgebaut werden, bevor die Generalsanierung startet.
Von Tag 1 an stimmt die DB ihre Kund:innen auf harte Zeiten ein:
„Während des Zeitraumes der Generalsanierung ist die Belastung für alle Beteiligten sehr hoch. Fern- und Güterzüge müssen umgeleitet werden, und es entstehen längere Fahrzeiten“
(DB Netz, Themendienst, Juni 2022)
Die Bündelung der Maßnahmen wird den Schienenverkehr in den betroffenen Gebieten nahezu zum Erliegen bringen. Für die Zeit nach der Generalsanierung verspricht sie ihren Kund:innen ein zuverlässiges Netz mit folgenden Vorteilen:
- Erhöhte Pünktlichkeit dank mehr Kapazitäten und Flexibilität
- Minderung der Störanfälligkeit durch Ersatz von Alttechnik
- Bessere und frühzeitige Planbarkeit von Umleitungen und Schienenersatzverkehr
- „Bessere Planbarkeit, Informationen zur Generalsanierung mit mindestens zwei Jahren Vorlauf. Dadurch auch bessere Informationen für Reisende und Güterverkehrskunden“
- BaufreiheitZeitraum, in dem es zu keinen Bautätigkeiten kommt auf den Hochleistungskorridoren für mehrere Jahre
- Vorrüstung auf digitalen Bahnbetrieb
- Sanierung und bessere Ausstattung der Bahnhofsgebäude und Haltestellen
- Weniger Belastung durch Baulärm für Anwohner:innen
Die Pläne sind für die DB angesichts der miserablen Zustände ein Befreiungsschlag, jedoch weder konzeptionell komplett ausgearbeitet noch finanziell sicher hinterlegt. Aussagen, wo das Konzept angewandt werden soll, fehlen zu diesem Zeitpunkt.
Eines ist sicher: Die Generalsanierung wird teuer, zeitaufwendig und belastend für Reisende und Unternehmen. Nur mit ausreichenden Planungs- und Baukapazitäten sowie einer angemessenen Finanzierung kann das Großprojekt gelingen. Laut Informationen des RND müssen pro Jahr zusätzlich sechs Milliarden Euro bereitgestellt werden (vgl. RND, 22. Juni 2022). Über den zusätzlichen Personalbedarf in der Planung soll es Gespräche mit der Bauindustrie geben, um die Machbarkeit auszuloten.
Immerhin: Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing zeigt sich ambitioniert und erklärt die Sanierung des Schienennetzes zur „Chefsache“. Zudem sei „die Finanzierung sichergestellt“ (vgl. ebd.). Konkreter wird der Minister allerdings nicht.
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