Gleise und Weichen

Zwischenbilanz Hamburg–Berlin: Viel Improvisation nötig

Die Sanierung der Strecke Hamburg–Berlin läuft seit einem knappen Monat. Die Hauptverbindung ist dicht, Güter- und Fernverkehr müssen über Umleitungsstrecken ausweichen, der Nahverkehr ist weitgehend auf Busse umgestellt. Zeit für eine Zwischenbilanz. Diese zeigt: Güterbahnen erleben auf den Strecken eine Mischung aus Improvisation, langen Umwegen und verbesserungswürdiger Kommunikation.

800 Kilometer extra – an nur einem Wochenende

Ein Güterbahnen-Unternehmen hat die Umleitungen seiner Züge am vergangenen Wochenende genau nachgerechnet: Weil das Stellwerk in Annaburg (Sachsen-Anhalt) unbesetzt war, mussten Güterzüge großräumig ausweichen. Ergebnis: 817 Kilometer zusätzlicher Umwegverkehr an nur zwei Tagen – die „normalen“ Umleiterwege durch die Vollsperrung zwischen Hamburg und Berlin sind hier nicht eingerechnet. Bei der InfraGO wurde in der Zwischenzeit Schadensersatz eingereicht.


Zwei Beispiele: Ein Zug von Hamburg ins tschechische Česka Trebova legte am 23. August fast 150 Kilometer mehr zurück als vorgesehen (wohlbemerkt: diese Kilometer sind zusätzlich zu den ohnehin im Moment geltenden Umleitern). Am nächsten Tag musste ein Containerzug aus Prag nach Hamburg 84 Kilometer zusätzlichen Umweg fahren.

Abb. Korridorsanierung 47: Hamburg-Česka Trebova
Abb. Korridorsanierung 48: Prag-Hamburg

Wenn Umleitungen selbst blockiert sind

Die Erfahrungen vieler Eisenbahnverkehrsunternehmen zeigen, dass die von der Deutschen Bahn mehrfach betonte gute Vorbereitung der Korridorsanierung Hamburg-Berlin nur in Teilen voll ausgereift ist. Die InfraGO hält weiterhin an Zeitfenstern für Bauarbeiten (sog. „Containern“) auf den Umleitungsstrecken fest, obwohl diese die freien Strecken für den Güterverkehr blockieren (wir berichteten). In Folge mussten Umleiter der Umleiter gefahren werden – teilweise quer durch Deutschland. Dies ist mit erheblichen Fahrtzeitverlängerungen verbunden, zum Teil müssen zusätzliche Schichten von Triebfahrzeugführer:innen erfolgen. Kunden sagen ihre Züge inzwischen (vorsorglich) ab, weil die Lieferzeiten nicht mehr einzuhalten sind – mit entsprechendem Umsatzausfall für die betroffenen Eisenbahnverkehrsunternehmen.

Fahrpläne auf dem Papier – Realität anders

Unternehmen berichten, dass auch die Verkehre, die im Jahresfahrplan gebucht wurden, kurzfristig umgeleitet werden: In der Praxis betrifft das aktuell jeden zweiten bis dritten Zug. Neben kurzfristigen zusätzlichen Baustellen scheint die Überlastung der Betriebszentralen ein gravierendes Problem zu sein. Die telefonische Erreichbarkeit stellt für die Unternehmen ein großes Problem dar. Insbesondere die sogenannten „Fplo“ (Fahrplanunterlagen), auf die sich die Unternehmen verlassen können müssen, sind laut Aussagen der betroffenen Unternehmen von schlechter Qualität. Vereinzelt verweisen Unternehmen auf Fahrdienstleiter:innen, die die schlechte Fahrplanqualität auffangen – trotz hoher Arbeitsbelastung.

Ein Konzept ohne Notfallplan?

Ob es ein funktionierendes und vor einiger Zeit angekündigtes Notfall-Dispositionskonzept überhaupt gibt, ist unklar. Die Erfahrungen deuten eher darauf hin, dass es nicht existiert oder im Alltag nicht angewandt wird.

Einzelne Strecken im Detail

Die Erfahrungen der Unternehmen unterscheiden sich je nach Strecke:

  • Die Strecke Magdeburg–Lehrte gilt als so überlastet, dass Züge teilweise die eigentlich geplanten Umleiter nicht fahren können und nochmals umgeleitet werden müssen.
  • Auf der Strecke Baalberge–Wismar, eine wichtige Route für Güterzüge, brauchen sie inzwischen statt sechs eher neun bis elf Stunden.
  • Die kurzfristige Eingleisigkeit auf den Umleitungen durchs Elbtal nach Hamburg führten zu massiven Beeinträchtigungen.
  • Besonders problematisch bleibt der Knoten Maschen bei Hamburg: Dort greift die Betriebszentrale kaum dispositiv ein, sodass im Störungsfall zu wenig Kommunikation mit den Unternehmen stattfindet.
  • Auf der Umleitung Oranienburg–Bad Kleinen dagegen funktioniert der Verkehr vergleichsweise stabil.
  • Die Erweiterung der Besetzungszeiten auf den Stellwerken der Strecke Lübeck–Bad Kleinen ist im positiven Sinne spürbar für die Unternehmen – darüber mussten die Güterbahnen aber 30 Monate mit der DB InfraGO verhandeln.

Folgen für die Branche

Für die betroffenen Eisenbahnverkehrsunternehmen bedeutet all das massive Mehrkosten, weniger Verlässlichkeit und im schlimmsten Fall den Verlust von Transportaufträgen. Erfahrungen zeigen, dass Kunden – einmal verloren – nicht so schnell zur Schiene zurückkehren. Vertrauen ist ein hohes Gut, das auf einigen Strecken massiv unter Druck gerät.

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