Zwischenzeugnis Riedbahn 

Zwischenzeugnis Riedbahn

Die Riedbahn ist aktuell das größte Schieneninfrastrukturprojekt in Deutschland und zugleich der Auftakt zur umfassenden „Generalsanierung“ des deutschen Schienennetzes. Ziel ist es, die gesamte Schieneninfrastruktur nachhaltig zu verbessern und den Betrieb langfristig zu stabilisieren. Die mediale und politische Aufmerksamkeit ist enorm. DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber betont die Bedeutung des Projekts: „Die Generalsanierung der Riedbahn ist ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur nachhaltigen Stabilisierung des Betriebs und damit auch zur strukturellen Sanierung unseres Konzerns.“ Auch für Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat die Sanierung höchste Priorität, weshalb er die Erneuerung der 41 Schienenkorridore zur „Chefsache“ erklärt hat. Der Erfolg der Riedbahnsanierung ist somit richtungsweisend für die DB InfraGO und deren gesamtes Netzwerk.

Jedoch ist längst bekannt, dass nicht alle Maßnahmen derart reibungslos verlaufen, wie von Huber und Wissing erhofft. Die DB InfraGO musste bereits an mehreren Stellen von ihren ursprünglichen Versprechen abweichen, was nicht unbemerkt geblieben ist. Besonders stark betroffene Schienengüterverkehrsunternehmen sowie DIE GÜTERBAHNEN haben die bisherigen Fortschritte kritisch begleitet und eine Bewertung der Riedbahnsanierung auf Grundlage ihrer Erfahrungen abgegeben. Neben direktem Feedback betroffener Eisenbahnverkehrsunternehmen wurden dabei auch Erkenntnisse aus zahlreichen Informationsveranstaltungen und Arbeitskreisen mit der DB InfraGO berücksichtigt. Die Bewertung erfolgt nach einer klassischen Schulnotenskala und stellt dar, wie die Riedbahn als Vorreiterprojekt bislang abschneidet. 

Praktikabilität Umleiterkonzept: 3 

Die Sanierung der Riedbahn profitiert von gut ausgebauten Umleitungsstrecken wie der parallel verlaufenden Main-Neckar-Bahn und der Ludwigsbahn. Diese Voraussetzungen ermöglichen eine Durchführung der Arbeiten nahezu unter „Laborbedingungen“ mit minimalen zusätzlichen Kilometern für die Verkehrsunternehmen und nur wenigen Einschränkungen bei den Transportlasten. Laut Angaben der DB InfraGO haben sich die Pünktlichkeitswerte während der Sanierung auf der Riedbahn verbessert. Allerdings kritisiern die betroffenen EVU, dass es auf den Zulaufstrecken, die laut ihnen genauso entscheidend sind, zu erheblichen Problemen kam. Insbesondere Störungen, beispielsweise durch Schäden an Oberleitungen oder Gleisen, und unbesetzte Stellwerke führten zu Schwierigkeiten. Zudem beeinträchtigte die Sperrung der Schnellfahrstrecke Köln-Rhein-Main den Verkehr auf der Rheinstrecke massiv. Weitere Herausforderungen entstanden durch Instandhaltungsarbeiten auf der rechten Rheinstrecke und eine dreiwöchige Sperrung der Rheintalbahn ab dem 09. August 2024. Durch diese Störungen war der europäische Güterverkehrskorridor „Rhine-Alpine“, der pro Woche rund 1,1 Milliarden Tonnenkilometer transportiert, erheblich beeinträchtigt. Verspätungen von Zügen, beispielsweise aus dem Süden, brachten das eng getaktete Umleiterkonzept der Riedbahn zuweilen ins Wanken. 

Gleisanschließerversorgung: 2-  

Nach anfänglichen Schwierigkeiten stabilisierte sich die Versorgung der Gleisanschließer von Tag zu Tag. Jedoch verursachte der Knotenpunkt Worms regelmäßig Probleme, da der Bahnhof den Anforderungen nicht gewachsen und überfüllt war. Damit die Versorgung in den engen Zeitfenstern reibungslos ablaufen kann, müssen wichtige Knotenpunkte frei von paralleln Bauarbeiten bleiben bzw. vorab ertüchtigt werden. Insgesamt zeigten sich die betroffenen EVU mit der Zusammenarbeit zufrieden, obwohl die „Problemlöser“ oft auf ihrer Seite zu finden waren. 

Zeitliche Umsetzungsziele: 2 (unter Vorbehalt) 

Vorbereitende Maßnahmen zur Riedbahnsanierung fanden bereits im Januar 2024 statt. Anstatt drei Wochen, hat diese Sperrung bereits vier Wochen gedauert. 

Obwohl die DB InfraGO bei den meisten Gewerken heute im Zeitplan liegt, kann das zentrale Versprechen der Generalsanierung, alle Maßnahmen innerhalb von fünf Monaten abzuschließen, nicht eingehalten werden. Damit ist eine der wichtigsten Bedingungen für die Zustimmung zum Konzept nicht erfüllt. Verzögerungen bei der Inbetriebnahme von ETCS, die sich laut jüngsten Angaben bis ins zweite Quartal 2025, d. h. möglicherweise bis Ende Juni, hinziehen könnten, werden auch nach Abschluss möglicherweise zu Sperrungen führen. Zum Vergleich: Noch im September war die Rede von einer vollständigen Inbetriebnahme im ersten Quartal des kommenden Jahres.  

In welchem Ausmaß die verzögerten Arbeiten den Schienenverkehr beeinträchtigen, ist abhängig davon, ob neben Software- auch noch Hardware-Arbeiten durchgeführt werden müssen, indem z. B. Signale gesetzt werden, Leitungen gezogen oder Balisen eingebaut werden müssen.  

Bauvolumenziel: 2- 

Entgegen den Ankündigungen aus dem Jahr 2023 wurde nur der Fahrdraht, nicht aber die gesamte Oberleitung ausgetauscht. Auch Brücken wurden auf Grund des fehlenden Planrecht nicht umfassend saniert. Positiv ist, dass die DB InfraGO bei Weichen, Gleisen, Lärmschutzwänden, Bahnübergängen sowie Bahnhöfen ihre Versprechen gehalten hat. 

Wirksamkeit Dieselshuttle: 2+ 

Die Dieselshuttle-Züge funktionieren zuverlässig, obwohl es anfänglich zu Abstimmungsproblemen kam. Die Nachfrage seitens der EVU ist jedoch gering, da der Prozess zeitaufwändig ist und oft nur als Notlösung betrachtet wird. Für andere Korridore werden die Dieselshuttle jedoch häufiger eingesetzt werden müssen. Hier sehen die EVU noch Verbesserungspotenzial in der Kommunikation. 

Praktikabilität TÜLS: 1 

Die DB InfraGO hat im Zusammenhang mit den HLK-Maßnahmen einige gesetzliche Bestimmungen des ERegG weit ausgelegt, etwa durch die Einführung neuer Begriffe wie „TÜLS“ oder „Verkehrsartenmix“.  

„Temporär überlastete Schienenwege“ (TÜLS) beziehen sich auf Strecken im deutschen Schienennetz, die aufgrund von hoher Auslastung nicht allen Anfragen für Fahrplantrassen gerecht werden können. Das bedeutet, dass auf diesen Strecken die Nachfrage nach Zugfahrten (Personen- und Güterzüge) größer ist als die Kapazität, die in einem sicheren und pünktlichen Betrieb realisiert werden kann. Bei temporär überlasteten Schienenwegen wendet die DB InfraGO den “Verkehrsartenmix” an. Durch diesen werden bestimmte Zugtypen bevorzugt, um die Gesamtauslastung besser zu steuern.  

So haben oft Fernverkehrs- oder Güterzüge Vorrang vor Regionalzügen. Aus Sicht des Schienengüterverkehrs ist das Konzept bei der Riedbahn aufgegangen. Auf den Umleitungsstrecken konnten teilweise sogar vorherige Verspätungen durch die Harmonisierung von Geschwindigkeiten abgebaut werden. 

Baufreiheit: 5 (unter Vorbehalt) 

Die Baufreiheit war ein zentrales Versprechen der DB InfraGO. Die Bündelung der Baumaßnahmen sollte dazu beitragen, dass nach der Sanierung keine geplanten Vollsperrungen für einen bestimmten Zeitraum stattfinden müssen. Zunächst versprach die DB InfraGO zehn Jahre, inzwischen wurde das Versprechen auf fünf Jahre reduziert. Aufgrund der Verzögerungen bei der Inbetriebnahme von ETCS und der unvollständigen Oberleitungssanierung könnte es zu weiteren Sperrungen kommen. Auch die minimalinvasive Sanierung der Brücken könnte weitere Sperrungen erfordern und sogar die verkürzte, angekündigte Baufreiheit gefährden. 

Kosten: 6 

Die Kosten der Sanierung der 70 Kilometer langen Strecke sind von ursprünglich 500 Millionen Euro auf 1,3 Milliarden Euro gestiegen – eine Erhöhung von 160 Prozent. Die Verzögerungen bei der Inbetriebnahme von ETCS könnten die Kosten noch weiter in die Höhe treiben. Vertreter:innen der Bauindustrie halten es für möglich, dass die endgültigen Kosten noch höher ausfallen könnten. 

Betriebswirtschaftliche Auswirkungen auf EVU: 2 

Die Auswirkungen auf die betroffenen EVU sind gering. Durch die parallelen Ausweichstrecken entstehen kaum zusätzliche Kilometer und nur wenige Einschränkungen bei den Transportlasten. Auch die eingesetzten Assets der EVU sind wenig beeinträchtigt. Die EVU hatten sich auf den Worst-Case vorbereitet und ihre Kunden im Vorfeld über mögliche Auswirkungen bestmöglich informiert. 

EVU-Kundenzufriedenheit: 2 

Trotz der anfänglichen Sorge der EVU, die Auswirkungen einer langen Sperrung nicht abschätzen zu können, hat sich die Situation bei der Riedbahn als weniger problematisch herausgestellt. Die Baustelle liegt zumindest bei fast allen Gewerken im Zeitplan und die Umleiterstrecken funktionieren. Dennoch sind bei der Riedbahn-Sanierung auch Probleme entstanden, die bei kommenden, komplexeren Korridoren der DB InfraGO zu größeren Herausforderungen führen könnten und das Vertrauen der Kunden nicht stärken.  

Fazit: Durchschnittsnote: 3+ 

Auf der operativen Seite lief bislang vieles gut, auch konnten viele, für die Zukunft wichtige Erfahrungen mit diesem Baukonzept gesammelt werden. Die EVU blicken jedoch mit großer Sorge auf den Korridor Hamburg–Berlin, dessen Sanierung im kommenden Jahr starten soll. Aus Sicht der Branche ist dieser Korridor die wahre Feuerprobe, da er hinsichtlich Streckenlänge, Verkehrsaufkommen und Komplexität deutlich anspruchsvoller ist. 

Die ersten Probleme sind schon bekannt: Das Budget ist mit 2,2 Milliarden Euro für über 270 Kilometer sehr knapp bemessen. Auch wurde die Bauzeit von ursprünglich fünf auf neun Monate verlängert – ein weiterer Schritt weg vom ursprünglichen Konzeptgedanken der „Generalsanierung“. Zusätzlich stehen diverse Layout-Standards zur Disposition, was die Planungssicherheit für die EVU schwächt. Die Umleiterkonzepte sind darüber hinaus sehr wackelig. 

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